LAURIE
ANDERSON - „WASHINGTON STREET“ (, ab 0.25 -
4.41)
Das
war „Washington Street“ von Laurie Andersons
letzter Platte LIFE ON A STRING,
die im letzten Herbst erschienen ist. LIFE ON
A STRING - ein Ausdruck,
den man auf zwei Arten deuten kann, zum einen
"Leben, das am seidenen Faden
hängt", aber auch "Leben per Violine" .
LIFE
ON A STRING ist auch der Name eines Kurzfilms,
der diese Platte und die
Multi-Media-Künstlerin filmisch
portraitiert. In einer schnellen Bilderfolge
werden fünf Lieder aus dem Album visuell
portraitiert, in vielen düsteren
Einstellungen sieht man Menschenmengen, ein
nächtliches verregnetes
New York, die hektische Konsumgesellschaft,
und eine Fahrt mit der Fähre
über zur fern und unscharf bleibenden
Freiheitsstatue. Die in raffinierten
Schnitten montierten Visionen sind befreit vom
klassichen Amerika-Mythos,
und gleichzeitig verklärt von der
poetischen Mystik dieser einzigartigen
Geschichtenerzählerin wie auch der
Metropole, in der sie lebt.
NONSUCHRECORDS,
ihr neues Label, wollte zu der Platte
ursprünglich einen Videoclip
für Werbezwecke haben, doch was
letztendlich daraus wurde, ist der
Kurzfilm zur Musiksuite ... Regisseur Steven
Lippmann erzählt:
O-Töne
MD - Stück 1:
„Ursprünglich
hatte
die Plattenfirma an eine Art Promotion-Video
gedacht, doch hatten
weder Laurie noch ich Interesse daran, an
einem Werbefilm für ihre
Platte mitzumachen. Es war meine Idee, kurze
Ausschnitte aus den einzelnen
Stücken in eine Musiksuite umzuformen,
die ein eigenes thematisches
Narrativ darstellt, welches den Inhalt der
gesamten Platte wiederspiegelt.
Auf dem Longplayer LIFE ON A STRING sind
alle Songs in gewisser Weise Kurzgeschichten
über die Stadt New York und über
Laurie Andersons Leben in dieser
Stadt. (1.10)
Laurie
Anderson selber hatte mit dem Entstehen des
Films wenig zu tun, zwar nahm
sie natürlich an den Dreharbeiten teil,
doch letzten Endes war es
Steven Lippmann, der hier seine kreativen
Visionen verwirklichte. Dazu
Steven Lippmann:
O-Töne
MD - Stück 2:
„Ich
tendiere dazu, mit anderen Künstlern
auf einer sehr persönlichen
Ebene zusammenzuarbeiten. Laurie Anderson
war jedoch der Ansicht, daß
ihre Arbeit mit der Musik an sich bereits
erledigt war, sie ist auch bereits
mit einem neuen Programm unterwegs, einer
Serie von Monologen und neuen
Songs.
Sie
vertraute mir ganz bei dem, was ich mir als
die visuelle Landschaft des
Films vorstellte, gab mir jedoch drei
Schlüsselbegriffe, an denen
ich mich als Leitfaden orientierte:
-
ORT
(also NY)
-
MASS-STAB
(die unglaublichen
Größenunterschiede) und
–
WASSER.
Das
Wasser ist der eigentliche Ursprung von LIFE
ON A STRING, das sich ja aus
ihrem Moby-Dick-Programm heraus entwickelt
hatte. Angefangen hatte es in
einer Nacht während einer Schiffsreise
irgendwo auf dem Ozean, als
sie sich wunderbar groß und unendlich
klein zugleich vorkam und um
sich nichts herum sah als die Schwärze
des Meeres und des Himmels.
Was diese Lieder ansonsten bedeuten, hat sie
mir niemals erklärt –
Laurie Anderson gehört nicht zu den
Künstlern, die ihre eigene
Arbeit erklären müssen oder
wollen. (1.27)
Als
Portrait der Stadt New York wirken die Bilder
düster und impressionistisch
und können beunruhigende Assoziationen
auslösen, und ich fragte
mich, ob dies tatsächliche Absicht war.
Hierzu Steven Lippmann:
O-Töne
MD - Stück 3:
„Ja,
diese Stadt ist ein seltsamer Ort. Im
Augenblick ist es schwer, da alles,
was mit New York zu tun hat, durch den 11.
September 2001 in einer anderen
Art und Weise reflektiert wird als vorher.
LIFE ON A STRING habe ich im
Juli 2001 gedreht und im August
fertiggestellt, und der Film ist heute
wie ein Fenster in eine andere Zeit, doch
war und ist die Stadt NY ein
Ort der Extreme auf jedem Gebiet – sie
repräsentiert das Beste und
das Schlechteste von allem. In dem Lied "one
beautiful evening" gibt es
die Zeile „funny how hatred can also be a
beautiful thing“ („seltsam, wie
Haß auch wunderschön sein kann“).
Die Schönheit und der
Horror in diesen Bildern reflektieren die
Textur der Musik. Die meisten
meiner Arbeiten neigen zum Düsteren und
Melancholischen, doch liebe
ich New York, wo ich seit 18 Jahren lebe.
Durch die Ereignisse vom 11.
September hat der Film jedoch eine Art von
Zusatz-Melancholie gewonnen.“
(0.29+1.42)
LAURIE
ANDERSON - DARK ANGEL (3.23)
O-Töne
(vom Sprecher in der 3. Person gesprochen)
MD - Stück 4:
Regisseur
STEVEN LIPPMANN kommt aus dem filmischen
Bereich der klassischen Musik.
Nach einer Reihe von Kurzfilmen für
klassische Musiker, die nicht
unbedingt Aufnahmen ihrer eigenen Auftritte
waren sondern die Musik mit
einem neuen visuellen Kontext
ergänzten, erhielt er den Auftrag
für
einen 20-Minuten-Kurzfilm über die
moderne Komposition „OF RAGE AND
REMEMBRANCE“ von John Corigliano – diese
Sinfonie schrieb der Komponist
als Andenken an all seine Freunde, die an
AIDS gestorben sind, und es ist
eine sehr nahe gehende, heftige Musik –
deren visuelle Interpretation wiederum
ist der Film, der auf mehreren
schwullesbischen Filmfestivals und auch
1997 anläßlich der
AIDS-QUILT-AKTION in Washington D.C. gezeigt
wurde.
Als
nächstes folgte ein Kurzfilm zu
Schostakowitschs dreizehnter Sinfonie,
die durch ein politisches Gedicht von
Jewtschenko über die Holocaust-Opfer
in Kiew inspiriert ist – hier nahm Lippmann
Jewtschenkos eigenen Gedichtvortrag
und ergänzte ihn durch Teile von
Schostakowitschs Musik.
Danach
hörte er zunächst mit der
Regiearbeit auf, um ein Drehbuch zu
schreiben für seinen ersten Spielfilm,
den er im Laufe dieses Jahres
zu drehen anfängt und der den Titel
trägt „THE HISTORY OF EVERYTHING“
(2.47)
Die
Realisierung von „LIFE ON A STRING“ erfolgte
in mehreren zügigen Schritten,
unter Verwendung mehrerer, sehr
unterschiedlicher Techniken. Steven Lippmann
erklärt:
O-Töne
MD - Stück 5:
“
Zuerst kreierte ich die Suite aus der Musik
Lauries aus dem, was die einzelnen
Sektionen thematisch charakterisiert. Dann
drehte ich am ersten Tag die
Aussenaufnahmen auf Super 8 – der
Großteil der Bilder besteht aus
dem Super-8-Material, welches in
verschiedenen Ebenen übereinander
projiziert wird. Die Bilder wurden entweder
auf das Gesicht von Laurie
projiziert oder auch oder auch in der Szene
mit dem Diorama der Stadt -
die Stadt in weiß taucht auf hinter
der Stadt in Schwarz. Ich orientierte
mich dabei am Expressionismus von Murnau und
einer Ästhetik des Cabinets
des Dr. Caligari. Die einzige, im Detail
durchgeplante Szene war die des
roten Theaterdioramas, in der Lauries
Gesicht von einem Bildschirm an der
Wand herunterblickt auf all die
Kreaturen-Skulpturen, die da auf
Stühlen
in dem Theater sitzen und zu ihr
hinaufsehen. Als ich ihr Gesicht filmte,
hörte sie dabei ihrer Musik zu und
reagierte darauf in mimischer Weise.
Dies war der am ehesten nach Drehbuch
entstandene Teil des Films.“ (3.28)
Der Film
LIFE ON A STRING lief hier in Europa bislang
nur auf der Berlinale, wird
allerdings auch im Programm weiterer
Filmfestivals wie zum Beispiel in
CANNES sein. Interessierte, die nicht so weit
reisen können und den
Film trotzdem sehen oder zeigen wollen,
können sich an die Verleihfirma
FLIP PRODUCTIONS wenden (FlipProds@aol.com)
wenden, um Einzelheiten zu
erfahren.
Es
bleibt zu hoffen, daß der Film LIFE ON A
STRING nicht dasselbe Schicksal
erleidet wie so viele andere Kurzfilme –
einmal auf der Berlinale gezeigt
werden, und dann nie wieder auf der Leinwand
erscheinen ...
LAURIE
ANDERSON - „SLIP AWAY“ (5.50)