Mike
Holboom ist ein junger Kanadier, geboren 1969
in Toronto. Seit seinem elften Lebensjahr
dreht er Filme, seit 1997 beschäftigt er sich
hauptsächlich mit Video-Kunst. Mit TOM, einem
„Experimental-Dokumentarfilm“ hat er kürzlich
sein 25tes Werk vorgelegt.
TOM ist ein
eindrucksvolles Zeugnis von der Möglichkeit,
die Biographie eines Menschen filmisch
darzustellen, ohne daß es besonders viel
Filmmaterial über diese Person gibt. Der Film
besteht zu einem großen Teil aus Ausschnitten
aus anderen Filmen, zu einer Collage
zusammenmontiert. Die Bilder werden aus ihrem
Zusammenhang entnommen und dienen nunmehr als
Projektionsfläche für die Persönlichkeit, die
Geschichte und das Leben eines Menschen.
In diesem Fall
handelt es sich um den New Yorker
Underground-Künstler TOM CHOMONT – der in
vieler Hinsicht eine faszinierende
Persönlichkeit ist: bekannter Video-Künstler,
Aidskranker, Geschichtenerzähler.
Sein Leben
verlief nicht nach einem bestimmten Plan, und
dennoch hat er immer wieder erstaunliche Dinge
erlebt und vollbracht. Er durchlief eine Reihe
von Metamorphosen – und der Bilderfluß folgt
diesem Lebenslauf ...
Tom Chomont kam in
den dreißiger Jahren zur Welt. Seine Mutter
war noch sehr jung gewesen, sein Vater war ein
Gangster, dies wird durch Schnipsel aus
schönen Gangsterfilmen wie Once Upon A
Time In America illustriert.
Mit seinem älteren
Bruder zusammen wächst Tom in einem
freizügigen und offenherzigen Elternhaus auf –
und später dann verband die beiden Brüder eine
äußerst innige, auch sexuelle Beziehung, in
der sie die Fesseln von Moral und Sitte
sprengten. Durch seinen Bruder fand TOM in den
70er Jahren seine Beziehung zu SM und zum
Fetischismus. Ihre Liebe blieb bis zum Tod des
älteren Bruders in den Siebziger Jahren
bestehen und wurde noch größer.
Tom Chomont wurde
in den sechziger und siebziger Jahren ein
bekannter Video-Künstler. Nach seinen
psychedelisch-visuellen und
narrativ-avantgardistischen Experimenten wie
Couples oder Moonphases folgte später dann in
den achtziger Jahren die Hinwendung zur
SM-Ästhetik, zur queer-Ästhetik.
„Der
Bereich Fetisch hat den Vorteil, daß auch
die Menschen, die nicht hübsch oder schön
sind, ihren Narzißmus entfalten können“,
erklärt Tom an einer Stelle.
Gleichzeitig ist
TOM auch eine Hommage und Liebeserklärung an
die Stadt New York – die am meisten
überphotographierteste Stadt der Welt. Da
Manhattan so unglaublich klein ist, wird hier
ja ständig abgerissen und wieder neu aufgebaut
– das Motiv der eigenen permanenten
Dekonstruktion wurde ergänzt durch diverse
Filmausschnitte aus Katastrophenfilmen wie
Deep Impact oder Am Tag Danach – die Stadt New
York liebt das Desaster. Oder sprechen wir
sicherheitshalber in der Vergangenheitsform,
New York liebte das Desaster – zumindest bis
zum 11. September 2001. Sicherlich werden sich
in ein paar Jahren die New Yorker wieder um
jede Kinokarte für den tollen
Twin-Tower-Katastrophenfilm reißen, den Steven
Spielberg gedreht haben wird. Vielleicht
reißen sie sich aber auch um die Karte für den
übernächsten Film von Mike Holboom, der plant,
sich mit der einseitigen Medienlandschaft
auseinanderzusetzen, in der viele kritische
Meinungen und Ansichten zur Rolle der USA in
der Weltpolitik einfach mundtot gemacht
werden.
In der
Zwischenzeit glitten in TOM die Jahrzehnte
seines Lebens vorbei in einem Rausch von
Bildern und in einer Orgie aus Klang.
Sonderbare Zwischentöne: Tom ist nicht nur
Aids-krank, er hat auch Parkinson-Syndrom.
Darüberhinaus wurde festgestellt, daß er über
telepathische Fähigkeiten verfügt. Schließlich
und endlich hat er die besondere Gabe der
absoluten Erinnerung, er vergißt nichts.
Toms erste
Erinnerung in seinem Leben ist das Weiße
Licht, welches er sich als den Anfang des
Lebens vorstellt – das Licht, das zur Form
wird in dieser Welt. Dieses Licht stellt er
sich auch als das Ende allen Lebens vor – er
sprach zu seinem Bruder, als dieser starb:
„Geh zu dem Weißen Licht hin, - .... laß
los.“ Tom stellt sich auch vor, daß sein
Bruder jetzt auf dem Saturn lebt.
Man fragt sich:
Ist dies nicht alles zu absurd für einen
Menschen allein, zu absurd für einen Menschen
überhaupt. Die Antwort könnte lauten: So was
denkt sich doch keiner aus, das muß alles
Wahrheit sein.
Besonders Mike Holboom dachte sich das nicht
aus. Er ist ein fürwahr intelligenter,
talentierter und gutaussehender Mann, mit dem
ich ein anregendes Interview führte, welches
ich leider beim Editieren der Minidisc aus
Versehen komplett gelöscht habe (dieser
Nebensatz klingt irgendwie so vertraut... ) –
Jedoch wurde der Inhalt des Interviews in dem
gerade laufenden Radiobeitrag aufs genaueste
von mir rekonstruiert, ohne daß der Zuhörer es
bemerken konnte – fast könnte man sagen, mit
derselben Technik, mit der Holboom den Film
TOM gemacht hat. Wer sich für diesen
Filmemacher interessiert, kann sich vom 24. -
28 April auf das Media-Arts-Festival in
Osnabrück begeben. Hier wird Mike
Holboom sein neuestes Videoprojekt vorstellen.
Es handelt sich
dabei um einen 10-teiligen Zyklus namens
Imitations of Life zum Thema der sich
erneuernden Menschheit:
Zitat Holboom:
„Durch Filme, Bilder und durch
Computertechnologie erlernen wir aufs Neue
unsere Subjektivität, lernen das, was es
heißt, ein Mensch zu sein. Kommunikation durch
Computer ist Kommunikation mit Computern –
auch die Kommunikation des Computers mit uns.
Wir lernen es, diese Maschine zu verstehen und
erlauben ihr den Platz in uns selber – und
dies ist nicht wirklich eine schlechte Sache,
denn Computer glauben nicht an ethnische
Säuberungen. Imitations of Life wird wieder aus
bereits vorhandenem Material hergestellt –
denn letzten Endes, es gibt schon zu viele
Bilder auf dieser Welt.“