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"DIE
IRRLICHT - vs. - OETHUFANSKIJ -
PARALLAXE"








Wer weiß, spricht nicht - und wer spricht, weiß nicht. Das solltest auch du dir zu deinem eigenen Motto machen. Trotzdem will ich dir deine Frage gerne beantworten, mein lieber junger wissbegieriger Shunji.

Es ist erkennbar, von einem bestimmten Punkt des Universums aus gesehen, dass sich die Sterne, Galaxien und anderen Phänomene des Universums in einer signifikanten Konstellation befinden. Ich und alle anderen, die wir die Photographien und die holographischen Darstellungen der ersten Weltraumreisenden gesehen hatten, wir konnten es einfach nicht glauben. Es waren eindeutig mit den technischen Hilfsmitteln der Verfremdung geschaffene Kunstwerke des großartigen Fälschers Sumaiquyon.

Der Abstand zur Lokalen Gruppe der Galaxien ist enorm – und die Navigation durch den Ultraraum führt nur mit allergrößten Schwierigkeiten an exakt den Punkt, den ein Raumschiff einnehmen muss, um die richtige Perspektive zu erfassen. Er befindet sich in einer Galaxiengruppe, die (zumindest von den Astronomen deiner Erde) als PKS-2000/330 bezeichnet wurde – ein Ort, der ca. 15 Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt ist.

Es ist ein Unterfangen, für das die ersten Weltraumreisenden der Falmari Jahre benötigt hatten, übrigens keine Elfen, sondern Sterbliche, die sogenannten Ompto-Plompterex – da sie von jener ungewöhnlichen Theorie gehört hatten, welche sie nunmehr überprüfen wollten – schließlich waren auch sie voller Zweifel, was die Richtigkeit der Behauptungen betraf.

Sicherlich ist die Zeit ein wichtiger Faktor. Die Reisenden mussten sicher gehen, dass die betreffende Konstellation zu sehen war – denn ständig verschieben sich sämtliche Himmelskörper. Es gibt kein absolutes Verhältnis, alles befindet sich im Fluss, alles ist relativ. Es ist eine Sache, die räumlichen Koordinaten im Nichts zu finden – um dann noch diesen Anblick zu genießen, dafür brauchen wir genau den richtigen Zeitpunkt. Die Zeit krümmt sich entsprechend der Gravitation (d.h. bei hoher Gravitation verläuft die Zeit langsamer; bei Gravitation Null verläuft die Zeit so schnell, wie es ihr in etwa möglich ist). Das Verhältnis zwischen Geschwindigkeit und Masse tut sein übriges – und so waren auch wir, die Weltraumreisenden der zweiten großen Expedition, unterwegs durch Zeit und Raum, unterwegs zu einem Punkt, an dem selbst Ich bis dato nicht gewesen war – und ich existiere simultan an fast allen räumlichen und zeitlichen Punkten des Universums. Es gibt nur ein paar wenige Ausnahmen, und diese seltsamen Parallaxen, die sich ab und zu um uns herum abwickeln, haben vermutlich damit zu tun. Sicherlich ist das für mich eine sehr unheimliche Empfindung. Ein sterbliches, körperliches Wesen wie z.B. der Ompto-Plompterex oder der von ihm abstammende Homo Sapiens könnte sich das nur vorstellen, wenn er einmal sein Gedächtnis verlöre, sich in einer neuen Identität ausbaute, und nur ab und zu plötzlich Erinnerungen in ihm aufflammten, so als würde er einen zarten, spinnwebenartigen Stoff zerteilen und dahinter etwas anderes erblicken als das, was er erwartet hat.

Für ein Wesen wie mich sind kosmische Allgegenwärtigkeit und Unvergänglichkeit so normal, wie es vergleichsweise Sterblichkeit und ein extrem eingeschränktes Wahrnehmungsfeld für die sterblichen Wesen sind. Dieser Punkt, an dem ich mich in einem leuchtenden, flirrenden Objekt konstituiere, ist eine transition crée par un acte de conscience, eine kosmische Linse gewissermaßen, der Übergang meiner Selbst in die Außenwelt. Ich tue dies an vielen Stellen im Raum und in der Zeit – unter anderem natürlich jetzt und hier, auf der zweiten Reise der Falmari, genau bei dir.

Jedoch ist meine Existenz nicht linear wie die meiner anderen Mitreisenden. Abgesehen von ihrer Gegenwart bin ich gleichzeitig auch in fast allen Varianten ihrer Zukunft und ihrer Vergangenheit – dies drücke ich extra so absurd aus, damit du es verstehen kannst, Shunji. Mein eigenes Konzept für den Zustand ist ein anderes, das ich dir im Grunde nicht vermitteln kann.

Stell dir nur vor, dass ich weiß, was geschehen wird. Wenn ich mich nun mit dir über ein Ereignis in deiner Zukunft unterhalte, beschließt du vielleicht, etwas zu tun, um dieses Ereignis zu ändern oder zu verhindern ( – in deiner Existenz als lineares Wesen bist du nämlich darauf angewiesen, Handlungen oder Taten zu vollbringen). Dann geschieht vielleicht etwas anderes als das, was ich dir gesagt habe, was geschehen würde. Du könntest zu mir sagen, dass ich ein Lügner bin – weil ich dir eine Zukunft geschildert habe, die du verhindert hast. Und ich würde dann sagen, dass ich dir gar nicht diese Zukunft geschildert habe, sondern genau diejenige, die tatsächlich stattgefunden haben wird. Gleichzeitig hätte ich dir aber auch eine andere Zukunft geschildert, eine Zukunft, die nicht stattfinden wird. So gibt es für dich unzählige Vergangenheiten, Zukünfte und Gegenwarten, die sich ständig voneinander lösen und an anderen Punkten wieder berühren, jedoch kannst du dies nicht selber wahrnehmen. Ich hingegen bin mir beinahe sämtlicher Parallelräume bewusst, in denen es alle möglichen Entwicklungen der Zeiten gibt.

Daher ist es ja so mysteriös, dass es auch Augenblicke gibt, an die ich mich gar nicht erinnern kann, oder eben nur selten. Und diese spezielle Perspektive, von der ich sprach, diese Perspektive zum Erkennen jener Konstellation gehört dazu.

Wenn du mich fragst, so sehe ich die humanoiden Zivilisationen schon über einen langen Zeitraum in der kosmischen Geschichte, viel länger als es die Erde gibt, und ich sehe sie auch noch in ferner Zukunft, wenn euer Sonnensystem schon lange nicht mehr existiert.

Damals - vor einer langen Zeit in einer weit entfernten Galaxis - gab es nämlich bereits den Ompto-Plompterex, der sich zur ersten humanoiden intergalaktischen Zivilisation im Kosmos entwickelte, die man das MULTIVERSALE IDEOSYNCHROTRON nannte – eine Vereinigung der raumfahrenden Zivilisationen der Galaxis, die die Ideen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit durch einen 5D-Wellenbeschleuniger auf allen Materiefrequenzen des Kosmos in Form von omnikompatiblen Pheromonen aussandten. Jedoch schlug man sich auch zum ersten Mal in kosmischen Dimensionen mit Habgier, Neid und Maschinerie herum. Nach einer zehntausendjährigen Existenz wurde das MULTIVERSALE IDEOSYNCHROTRON in einem furchtbaren, grandiosen Krieg zerschlagen, und es entstand natürlich ein sogenanntes MONOVERSUM. Der Kampf unerschrockener, heldenhafter und gut aussehender Rebellen gegen Tyrannei und Sklaverei führte zwar zum Untergang dieses gräßlichen MONOVERSUMS, aber die Rasse der Ompto-Plompterex zersplitterte in dreizehn Stämme, die über die Quadranten der Galaxis verstreut wurden und die Verbindung zueinander verloren. Einige dieser dreizehn Zivilisationen gingen unter, unter anderem die auf einem Inselkontinent der Erde namens Shangri-La - dort entwickelte sich der Homo Sapiens, der ja vom Ompto-Plompterex abstammt.

Zwar ist klar, dass die Menschheit niemals von universaler Bedeutung sein wird. Aber das große unbekannte Nichts, dem sie seit Anbeginn ihrer Existenz etwas entgegenzusetzen versucht, hat seine Vorrangstellung eingebüßt, zumindest, was seine Thematisierung in philosophischen Abhandlungen betrifft.

Doch die zunehmende Verblendung des Menschen führte, kosmologisch gesehen, ins gesellschaftliche Abseits. Bei all eurem Atommüll musste es ja zu einer Katastrophe kommen. Nachdem die EIS-MASCHINE im Jahre 2099 euren Planeten vereist hatte, schleuderte eine Explosion des auf der dunklen Seite des Mondes gelagerten Atommülls diesen aus seiner Umlaufbahn um die Erde.

Die dort lebenden Bewohner der Mondbasis haben nun auf dem durchs All treibenden Mond eine traurige Reise begonnen, im Gefühl der Verlorenheit und Winzigkeit, voller Melancholie und Sehnsucht. Doch wird diese Reise auch zu einer unglaublichen Erfahrung. Eine Reise, auf der sie sich auch von alten Konzepten des menschlichen Daseins loslösen werden, als philosophisches Äquivalent zur Evolution des Menschen - wenngleich es sich schwieriger als erwartet darstellen wird, gegen all die negativen Seiten des Menschen anzukommen, gegen Banalität, Brutalität, Triebhaftigkeit, Dummheit und Stumpfsinn. Ja, Shunji, ihr zwei seid nicht die einzigen Menschen, die überlebt haben.

Genau wie die Abkömmlinge des Ompto-Plompterex im Planquadrat Ypsilon 39. Nachdem vor einigen Jahrzehnten eine unsägliche Roboter-Zivilisation ihr Sternenreich zerschmetterte, machten sich die Überlebenden auf die Suche nach den Ursprüngen der Menschheit. Mit ihrem letzten intakten Weltraumkriegsschiff, dem sogenannten Swiftstrider Aeanus, und einer kleinen Transporterflotte hatten sie sich freiwillig in die Dunkelheit des Unbekannten begeben, die finster drohend vor ihr lag, um eine bessere Zukunft zu finden. Die sie auf einem fernen Planeten namens ERDE vermuten. Ja richtig, deiner derzeit vereisten Heimatwelt.

Und eure Zukunft? Es wird sie geben, sicherlich. Es kommt bald ein humanoider Fremder an Bord zu uns, ein schlanker, athletischer, muskulöser, blonder Kampfpilot – jung, tapfer und waghalsig. Ich höre seine Gedanken bereits. Obwohl alles für ihn trostlos und aussichtslos ist, fühlt er sich freier denn je. Stell‘ dir vor, du wärst alleine auf einem Wüstenplaneten, so wie dieser junge Pilot, abgeschnitten von deinem Basisschiff, und der einzige Freund, der dir geblieben ist, wäre ein Angehöriger der Roboter-Zivilisation, die dein Volk vernichten will, ein Zyklonier.

Würdest du den Zyklonier wieder zusammenbauen, falls er sich für dich aus Freundschaft opfert und von seinen eigenen Artgenossen zerschossen wird? Nun, du würdest es sicher versuchen, und dieser Kampfpilot versucht dies auch – was ihm auch gelingt. So können sie also von der Wüstenwelt entkommen – in jenem Raumjäger, mit dem ihre Feinde, die anderen drei Zyklonier, dort angekommen waren. Das, was er auf dieser Welt zurücklässt, ist seine Uniform als Krieger. Die kalte, glänzende Metallhaut des Zykloniers, an die er sich manchmal schmiegt, und das warme Leder des Sitzes, sind nun seine einzige sinnliche Erfüllung.

Was also denkt der junge, nackte Dissident? „Es ist eine wilde, unwirtliche Galaxis. Niemand will uns haben. Die Zyklonier nicht, die Ompto-Plompterex nicht, die Schwarze Galaxis will uns auch nicht. Und alle anderen Welten sind vereist.“ Ja, er will auch weiterhin die ERDE finden, er hofft, dass er und sein zyklonischer Freund namens Z.Y. dort freundlicher aufgenommen werden. Noch weiß er nicht, was ihn stattdessen erwartet, und dass er dein Leben wie unseres grundlegend verändern wird.

Es ist sonderbar, dass ich all diese Dinge sehe, bis ans Ende eurer Zukunft, Shunji, während du hier von größter Unruhe erfüllt bist, weil du nicht weißt, was im nächsten Augenblick passieren kann, und weil ich dir nichts sagen kann, was dich aufmuntern kann. Abgesehen von dem einen Punkt, der selbst mich beunruhigte.

Was eben diese Perspektive betrifft, Shunji, schildere ich dir gerne den Anblick, der uns erwartete. Es hatte damals Monate gedauert, die Falmari durch den Ultraraum und den Normalraum zu navigieren, aber endlich erreichte ich den Ort und die Zeit.

Wir blickten über eine Distanz von 15 Milliarden Lichtjahren hinweg auf das Zentrum des bekannten Universums, den lokalen Supersternhaufen, auf A665 und A 1514, auf die Sternbilder Herkules sowie das Haar der Berenike.

Die Lichter formten das Bild einer aus Nebel aufsteigenden menschlichen Frau, die nackt im Weltraum zu liegen schien. Ein grüner Planet, der nur einige Hunderttausend Kilometer vor uns lag, schien sich perspektivistisch im Kopf dieser Frau zu befinden, als wäre er ein Sinnesorgan, eine Art Nervenzentrum – und der Planet sandte Impulse von Energie aus, die durch die kosmischen Nervenbahnen in der Sternenhaufendarstellung des Körpers zu strömen schienen.

Die Göttin der Sterne leuchtet ... “ flüsterte Saran leise zu sich, in einem unbeobachteten Moment sprach er zu sich selbst, und ich hörte es natürlich; denn, auch wenn ich seine Gedanken nicht lesen kann, so vernehme ich doch alles andere, was sich im Raum und in der Zeit regt.

Auch wir anderen starrten gebannt auf das optische Kunstwerk, das eine kosmische Intelligenz geschaffen hatte; vermutlich stammte sie von dem grünen Planeten. Bevor wir jedoch den Planeten anfliegen konnten, verschwand er plötzlich von einer Sekunde zur anderen. Die Konturen der Frau blieben noch bestehen – doch war es klar, in kurzer Zeit würden sich die Konstellationen wieder ändern, und das Bild würde verfliegen.

So bleiben diverse Unklarheiten bestehen, Shunji. Der zyklonische Raumjäger, der sich uns nähert, wird dich und Yukio auseinanderbringen, aber es ist einzig und allein deine Schuld. Was mich hingegen weiterhin beunruhigt, sind die aufflammenden, parallaktischen Erinnerungen – die keinen Bezug zu meiner gesamten Existenz haben. So als wäre ich nur der Schatten eines Traumes, der sich fragt, wer oder was Oethufanskij nun wirklich ist ... “

- IRRLICHT








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