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„D E C O N S T R U C T I O N S
O F
T R I A N G L E S“



    
 
 
 

„Ein gigantisches Schwarzes Loch!“ rief Raumpilot Oethufanskij fassungslos aus, während er den Zyklonier-Raumjäger abbremste. „Sowie ein eigenartiges Schiff“, fügte Z.Y. hinzu. „Das finde ich ausgesprochen wundervoll! Ich freue mich darauf, endlich wieder Reisende im All zu treffen. Ooh.... Das verletzt dich vielleicht.“ Oethufanskij verstummte plötzlich. Doch der silbern glänzende Roboter schien nicht berührt. „Auch ich finde dieses Treffen begrüßenswert“, erklärte er. „Es könnte mir einen neuen Denkanstoß liefern.“ Die beiden ungleichen Freunde lenkten ihren Raumjäger dem seltsamen Energiesphären-Schiff entgegen.

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Nach dem Ankoppeln begegneten sich die Reisenden der Falmari und die zwei ungewöhnlichen Weggefährten aus Planquadrat Ypsilon 39 – sie erzählten sich gegenseitig eine einzige lange Geschichte mit diversen unterschiedlichen Erzählsträngen, die jetzt allerdings einen gemeinsamen Schluss bekommen konnten. Für den Fall, dass sie alle zusammen bleiben würden. „In ein Schwarzes Loch zu fliegen, entbehrt jeglicher Logik“, erklärte der Zyklonier, leicht verblüfft (doch hauptsächlich warnend – dass diese Menschen aufgrund ihrer Natur als biologisch-dreidimensional und zeitlich eingeschränkte Wesen nicht das Geringste über die Gesetzmäßigkeiten des Universums wissen konnten, hatte er schon oft von den Philosophen seines Volkes vernommen).

„Wir müssen diese Wesen verstehen, Z.Y.", erklärte Oethufanskij nachdenklich. „Sie haben nichts mehr in diesem Universum zu gewinnen und nichts mehr zu verlieren. Selbst die Erde ... “ Er brach ab. Was würde Commander Ezaa wohl sagen, wenn sie mit ihrer Aeanus und der Flotte der Überlebenden endlich die Erde finden sollte, nur um dann zu entdecken, dass diese letzte Welt der Ompto-Plompterex von einem noch viel mächtigeren Gegner als den Zykloniern vereist worden war? Die alte Kommandantin, die scheinbar nur die Hoffnung auf die Zukunft vor dem Zusammenbruch bewahrte, mochte jeglichen Halt verlieren ... Mit Schaudern dachte Oethufanskij daran, wie verbittert und hoffnungslos sie seit dem Tod ihrer Kinder geworden war (so auch Aphrodite, die sensibelste und mitfühlendste aller Kriegerinnen, doch auch die hoffnungsvollste und idealistischste, die Oethufanskij mehr vermisste als er sich eingestehen durfte, weil sein Montagepunkt sich sonst bis über den Punkt der Nichtwiederkehr verschieben würde – und Oethufanskij verschob seinen Montagepunkt niemals wirklich, obwohl das ständig alle glaubten bis auf Z.Y., der in diesem Fall wohl kaum sein neuer Freund geworden wäre).

„Aber du hast Recht, Z.Y.“, rief er dann laut. „Wir können diese Reise nicht mitmachen. Wir dürfen nicht hoffen auf die Chance einer Möglichkeit. Ob es ein Leben nach dem Tod gibt oder ein Universum auf der anderen Seite des Schwarzen Loches – das sind letztendlich unbekannte Größen der gleichen Art – und ich vertraue lieber auf diese Seite des Universums und des Lebens.“ – „Ihr werdet uns also wieder verlassen“, kommentierte Irrlicht, was es sowieso bereits wusste. Irrlicht und Z.Y. fanden sich gegenseitig äußerst faszinierend, und Oethufanskij überlegte bereits, wie das Lichtwesen reagieren würde, wenn er es fragen würde, ob es mit ihnen mitkommen wolle. Plötzlich hörte er Irrlichts Gelächter in seinen Gedanken. „Nein, Oethufanskij. Es ist wunderschön, euch zu kennen, aber ich bin der Navigator auf dieser Reise. Ohne mich braucht die Falmari den Versuch gar nicht erst zu wagen.“ Z.Y. wandte sich an Norn den Elfen. „Dann werden wir euch umgehend wieder verlassen, damit ihr diese Reise nicht länger verzögern müsst.“ Oethufanskij nahm einen langen Zug an seiner Zigarre und schwieg dazu. Irgendetwas gefiel ihm nicht an der zwiespältigen Stimmung der anderen Wesen dieser Situation, in die er geraten war und die er jetzt so schnell wieder verlassen sollte – und es machte ihn unruhig, dass er nicht sagen konnte, was es war ... Ja, es konnte tatsächlich sein, dass ihn gerade sein Glück verließ, zum allerersten Mal.

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Shunji und Yukio trafen sich auf dem Hauptdeck der Falmari, während die anderen Reisenden mit den neuen Gästen am Bug standen und das Schwarze Loch betrachteten. Saran stand am Ruder des Schiffes und hielt Wache, düster und teilnahmslos, wie eine Spiegelung von Hagens Schildwacht (Götterdämmerung, erster Aufzug, Ende der zweiten Szene –  „Hier sitz‘ ich zur Wacht ... “). Die Strukturen der diversen triangulären Beziehungsgeflechte lösten sich und formierten sich in neuer Zusammensetzung.

Shunji bewunderte das ästhetische Zyklonierschiff aus blitzendem Chrom, das neben der Falmari in der Energie-Sphäre schwebte. „So weit haben sie es also geschafft, um die ERDE zu finden, und jetzt ist sie ... “ Shunji beendete seinen Satz nicht – es tat immer noch zu weh, daran zu denken, was mit der ERDE geschehen war.

Die beiden Jungen waren nicht bester Laune, aber jedesmal, wenn sie sich erneut begegneten, merkten sie, wie sehr sie einander brauchten, und wollten sich versöhnen. Doch Shunji Numata verzehrten seine widersprüchlichen Begierden, und er erhoffte sich Hilfe, all die Widersprüche in Einklang miteinander zu bringen – und Yukio verweigerte ihm hierbei jegliche Unterstützung, obwohl er sein Sklave war.

Yukio sagte: „Ich möchte mit Oethufanskij und Z.Y. fliegen. Ich habe schon mit Z.Y. gesprochen. Sie würden uns mitnehmen.“ Shunjis Körper verkrampfte sich, und Yukio konnte förmlich spüren, wie es ihn heiß und kalt durchfuhr. „Nein!“ rief Shunji aus. „Das erlaube ich nicht! Du bleibst bei mir und zwar hier!“

„Du denkst gar nicht mehr an mich!“ sagte Yukio unzufrieden: „Oethufanskij hat Recht: er meint, ich solle den Spieß mal umdrehen!“ Er war verärgert, weil er das spiel liebte, das sie spielten. Er war enttäuscht, denn er wollte nicht derjenige sein, der gebietet. Er wollte derjenige sein, der gehorcht und sich unterwirft. Doch einfach so in den sicheren Tod zu gehen, so weit konnte er nicht gehorchen. Shunji hatte befohlen zu bleiben, doch eigentlich hatte er Yukio schon längst vergessen... „Ich werde auf keinen Fall in das Schwarze Loch fliegen! Und wenn Oethufanskij mich nicht mitnehmen will, werde ich trotzdem nicht bleiben. Er kann mich irgendwo absetzen, alles ist mir lieber als das da.“ Während er sprach,  streckte er abrupt den Arm aus und wies mit dem Zeigefinger auf den gewaltigen Mahlstrom, der schräg seitlich von ihm in nicht allzu großer Entfernung rotierte. „Bitte komm mit mir, Shunji. Du darfst uns nicht umbringen!“ – „Ich will auch nicht, dass du gehst, Yukio! Du musst bei mir bleiben und es verstehen lernen. Du musst an mich glauben: wir fliegen nicht in den Tod!“ rief Shunji, aber Yukio schüttelte so heftig wie möglich seinen Kopf, so als ob er sich nur so gegen diesen Wahnsinn erwehren konnte.

Die beiden Jungen sahen sich verwirrt und mit langen, ernsten und verwundeten Blicken an. Jeder hielt den anderen für engstirnig, starrköpfig und eigensinnig, und es schien keine gemeinsame Lösung zu geben. Yukio rang sich schließlich durch und brach das lange Schweigen. „Saran sagt, jeder muss das tun, was er auch wirklich tun will. Und wenn ich gehen will, um jeden Preis, dann geht es nicht anders!“ – „Was hat Saran gesagt?“ fragte Shunji und wurde plötzlich sehr aggressiv (‚Saran will ihn mir wegnehmen! Er will Yukio für sich und hat ihn verhext!‘ dachte er fiebrig und ohne Selbstbeherrschung). „Er hat dir das alles eingeredet, nicht wahr! Er will dich für sich alleine haben! Du darfst ihm nicht glauben!“

„Er hat mit gar nichts eingeredet!“ schrie Yukio Fujita wütend: „Er zwingt mich zu gar nichts! Nimm doch endlich wieder Vernunft an!“ Yukio wollte nicht gehen, er spürte, wie die Verzweiflung in ihm überbrodelte. Er sah seinen geliebten Gebieter an und wusste, dass er sich von ihm trennen musste, doch dieser Schritt war zu groß, zu gewaltig. „Bitte sag, dass du nicht in dieses Schwarze Loch fliegen willst!“ flüsterte er schließlich nur noch heiser, er kämpfte gegen seine Tränen an. Shunji sah es, und ihm entglitt alles – es gab nichts mehr, woran er sich festhalten konnte. „Uns wird nichts passieren, Yukio! Ich kann es dir ganz zuverlässig versichern, denn ich liebe dich! Ich liebe dich viel mehr als Saran es je könnte. Du gehörst nur mir allein, und ich würde es nie zulassen, dass dir ein Leid geschieht! Bitte lass‘ mich dir helfen, du musst wieder zu Verstand kommen! Du musst wieder klar werden im Kopf!“

Yukio sprang ihn an – völlig unerwartet und mit einer solchen Wut, dass er Shunji zu Boden riss. Der ältere Junge kam mit dem Kopf auf dem kalten Kristallboden auf; es war ein dumpfer Schlag, bei dem er ohnmächtig wurde. Yukio erschrak furchtbar, doch spürte er gleichzeitig, dass dies seine einzige Chance war, unbemerkt von Bord zu gelangen. Er zerrte und rollte den älteren Jungen mühsam zum Laderaum. Um Shunji war alles dumpfer Schmerz, alles drehte sich um ihn, die Sterne blitzen in seinem Gesichtsfeld in Vertigo... Ehe er wieder zu sich kommen konnte, fesselte Yukio ihm Hände und Füße mit einem sonderbar leuchtenden, dünnen aber festen Stoffballen. Yukio genoss es ungemein, und das gab ihm eine wilde Kraft. Als Shunji allmählich wieder zu sich kam und leise zu stöhnen anfing, knebelte ihn Yukio schnell mit dem fremdartigen Stoff, der sich nicht zerreißen ließ, und verknotete dann Shunjis Arme auf dem Rücken. In aller Verzweiflung und Traurigkeit, die ihn in diesen Momenten beschäftigte, fand er dennoch eine gewisse Befriedigung - er hätte nie gedacht, dass er jemals die umgekehrte Rolle spielen würde, geschweige denn, den Älteren so einfach überwältigen zu können. Shunji begann sich zu winden und sah ihn flehend an. Die Laute, die der Knebel erstickte, waren herzerweichend, wie die Tränen, die über Shunjis Gesicht flossen. Yukio wollte nicht darüber nachdenken, warum er nicht versuchte, ihn von hier mitzunehmen, sondern ihn lieber seinem heiß ersehnten Schicksal überließ. „Ich weiß nicht, was ich will, aber du kannst es mir nicht mehr geben“, kamen ihm traurige Zeilen in den Sinn, die sich hervorragend für die Ballade eines zornigen jungen Mannes eigneten - so wie er mal einer sein würde.

Die anderen Reisenden hatten von all dem nichts mitbekommen, und das aus gutem Grund: Auf Deck rannten alle wie wild umher. „Schnell weg von hier!“, rief Tahaas Raroia Fangataufa und fluchte in allen Sprachen, die er kannte: Ein riesiger, weißglühender Asteroid trudelte auf die Falmari zu, und Norn übernahm die zwei Steuerräder, um auszuweichen. Als Yukio alleine auf Deck kletterte, eilte Saran auf ihn zu. „Wir verschwinden hier“, raunte der Junge ihm zu, und sie kletterten in das Zyklonierschiff. „Wo sind bloß Oethufanskij und Z.Y.?“ Auf den Einwand des Jungen hin hielt sich Saran nur mit großer Mühe zurück, doch er wusste, er konnte jetzt nichts tun, was Yukio nicht auch wollte. Der Asteroid raste heran, und Norn gelang es nicht rechtzeitig, das Ausweich-Manöver auszuführen. Der Asteroid streifte die Falmari, und die Energiesphäre knisterte. Das Schiff verlor seinen Halt und begann auf das Schwarze Loch zuzudriften. Norn, der Elfe, lag verletzt am Boden, die Erschütterung hatte ihn gegen das Steuer geschleudert. „Wir driften hinein! Z.Y.!“ rief Oethufanskij – er tat immer das, was am notwendigsten war, so dass er bei klarstem Verstand dennoch als Verrückter durchging, und lief zu den zwei Steuerrädern. Der Zyklonier folgte ihm bedenkenlos (Mut ist eine Eigenschaft, über die die Angehörigen seiner mechanoiden Spezies nie zu debattieren brauchen). Die zwei merkten nicht, dass ihr Handeln falsch aufgefasst wurde.

Yukio starrte ihnen aus der Luke des Zyklonier-Raumjägers nach. „Nein ... “ flüsterte er enttäuscht. „Bitte nicht.“ Eine heftige Erschütterung erfasste die Falmari und warf auch den Raumjäger hin und her. Saran schloss entschlossen die Luke. „Sie wollen ihren eigenen Weg gehen, Yukio. Wir müssen von hier verschwinden, wenn wir noch eine Chance haben wollen,“ erklärte er. Yukio widersprach ihm nicht und ließ sich benommen auf einem Sitz nieder. Woher hatte Saran gelernt, ein Zyklonierschiff zu fliegen? Yukio Fujita beschloss, ihn das eines Tages zu fragen, vielleicht. Im Augenblick gab es nichts anderes zu tun als zuzusehen, wie Saran das Schiff abkoppelte und aus der Sphäre der Falmari steuerte. Die Schwerkraft war wahrhaft enorm, doch noch außerhalb des kritischen Bereichs – mit maximaler Schubkraft konnte Saran den Kurs erfolgreich halten. Mit einem eisigen Schaudern sah Yukio, wie die Falmari davonglitt und immer weiter auf das Schwarze Loch zuraste. Er begriff, dass er seinen einzigen Gebieter Shunji Numata, den er liebte wie keinen anderen, niemals mehr wiedersehen würde. Von nun an hatte er nur noch Saran, und dieser hatte ihn, vermutlich so, wie er es gewollt hatte. Im nächsten Augenblick war die Falmari weg – jenseits des Ereignishorizonts.

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„Sieh doch, unser Schiff!“ rief Z.Y. überrascht, als der Raumjäger abkoppelte und davonflog. Oethufanskij hielt die beiden Steuer fest und erlaubte sich keine Ablenkung. „Unser Kurs ist stabil in einem Spiralflug um das Schwarze Loch herum, aber wir brauchen das Anti-Schwerkraftfeld!“ Omni und Coronar arbeiteten an der beschädigten Maschine und schafften es wie durch ein Wunder, die Falmari zu stabilisieren. „Alle Maschinen Stopp“, sagte Oethufanskij, und Z.Y. vollführte die manuellen Bedienungen. Das Schiff kam zum Stillstand, unterhalb des Ereignishorizonts, gerade neben einem großen, metallischen Fragment, das in der Zeit stillzustehen schien.

„Was ist das?“ fragte Shunji atemlos, den Tahaas mittlerweile gefunden und befreit hatte. Irrlicht schwebte zu den beiden herüber. „Es ist ein großes Trümmerfragment der EIS-MASCHINE“, erkannte es (überraschenderweise). „Und dort drüben LEBT noch jemand!“ Von Gram erschüttert, wie betäubt von dem Verlust, den er noch gar nicht richtig verspürte, und frustriert darüber, wie wenig sich die Dinge nach seiner Vorstellung entwickelten, starrte Shunji zu dem Trümmerfragment hinüber, und eine immer heißer werdende Rachsucht stieg in ihm auf. Was eigentlich sollte sonst noch alles passieren im folgenden fünften Kapitel des Shonen Ai Eudemoniums!?







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